Dr. Angelika Brinkmann
Die durch die fundamentalen Änderungen der Sozialstruktur aufgeworfene "sociale Frage", ein Schlagwort der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist die Frage nach der Integration immer breiterer Bevölkerungsschichten in die erst noch zu findende Ordnung der sich bildenenden Industriegesellschaft. Die digitale Frage bezeichnet die Integration neuer technischer Entwicklungen in die Alltagswelt, welche neue Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten schafft. Der nachfolgende Artikel gibt eine kurze Darstellung der wesentlichen Aspekte zum Thema soziale Frage. Er skizziert in einem nächsten Schritt Aspekte der 'digitalen Frage' und stellt als eine neue Weiterentwicklung dieser digitalen Frage das Konzept der 'aktiven Demokratie' vor.
Vorbemerkung
In der Geschichte der zivilisierten Gesellschaften kann man drei Grundtypen unterscheiden, und zwar nach Art und Weise, in der die Mehrheit der Erwerbstätigen ihren Lebensunterhalt erwirbt:
1. Agrargesellschaften, in denen die Mehrheit der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt ist, während die kommerziellen und die industriell/handwerklichen Tätigkeiten auf Minderheiten beschränkt sind;
2. Industriegesellschaften, in denen die Mehrheit (oder fast die Mehrheit) der Arbeitskräfte sich in Industrieberufen findet, also vor allem mit Energie und Material umgehen. Der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft ist Ausgangspunkt für die 'soziale Frage'.
3. Informationsgesellschaften, in denen die Mehrzahl der Beschäftigten in Informationsberufen arbeiten, also mehr mit Information, Signalen, Symbolen, Zeichen und Bildern umgehen. Sie bilden den Hintergrund für das Aufkommen der digitalen Frage.
Der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft geschah krisenhaft. Die Zerschlagung der gewohnten Lebensformen war gekennzeichnet durch Massenarbeitslosigkeit, Kriege, Epidemien und das Fehlen sozialer Sicherheit. Kennzeichnend für den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft war, dass die Probleme der Agrargesellschaft technisch und organisatorisch gelöst wurden: Mit Hilfe von Traktoren, Insektiziden und Düngemitteln, insbesondere auch mit Hilfe der verbesserten Infrastruktur (Straßennetz, Telefonnetz etc.) wurde erreicht, dass in den Industrieländern nur noch relativ wenige Menschen im Agrarsektor tätig sind.
Die soziale Frage
Der Begriff 'social' entstammt zwar dem 19. Jahrhundert, aber die damit angesprochenen Mißstände existierten schon vorher. Seit dem 12. und 13. Jahrhundert hat die 'Sozialfürsorge' im christlichen Abendland eine komplexe Struktur herausgebildet: Klassifizierung und Selektion der Unterstützungsempfänger, Bemühungen zu ihrer rationalen Organisation auf territorialer Basis. Bereits seit dieser Zeit fallen zwei Kategorien auf: verschämte Arme und arbeitsfähige Bettler. So erläßt 1349 Edward III, König von England eine unter dem Namen 'Arbeiterstatuten' (Statute of Labourers) bekannte Verordnung und 1495 wurde in Großbritannien ein Vagabunden- und Bettlergesetz erlassen; 1497 verfügte der Reichstag in Worms dass jede Gemeinde Maßnahmen zur Fürsorge für die eigenen Bettler ergreifen muss.
Die vorindustrielle, dörflich-ländliche Sozialstruktur war durch Massenarmut gekennzeichnet, weil die herkömmlichen Produktionsmethoden, die wachsende Bevölkerung, die zahlreichen Kriege, die teure Hofhaltung des Adels (der sogenannten "Duedez-Fürsten"), die in jeder kleinen unscheinbaren Gegend Deutschlands den Prunk Versailles', des großen französischen "Vorbildes" nachzuahmen trachteten) keine "standesgemäße" Versorgung mehr sichern konnten. Für diese vorindustrielle Massenarmut ist der Begriff "Pauperismus" üblich. Es waren die sogenannten "Pauper", die in die sich bildenden industriellen Zentren abgedrängt wurden, wo sie zusammen mit den verarmten Bauern und Handwerkern, die kein "zünftiges" Auskommen mehr finden konnten, den Kern des späteren industriellen Proletariats bildeten.
Noch um 1800 waren in Deutschland ca. 80 v.H. der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt bzw. in ihrem Lebensunterhalt von ihr abhängig [im Jahr 2010 noch 2,1%; http://www.destatis.de].
In dieser agrarisch-feudalen Gesellschaft kam den mit dem Grundeigentum verknüpften Sozialstrukturen und Sozialbeziehungen eine entscheidende Bedeutung zu. In Deutschland hatten es die Städte trotz ihrer Sonderentwicklung und einflußreichen Stellung innerhalb des Reiches seit dem 12. Jahrhundert nicht vermocht, die Prinzipien ihrer Rechts-und Sozialordnung auf das weitere Umland auszudehnen. [Max Weber, 1964,Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Köln, Berlin (zuerst 1921/22), S. 923-1033: "Typologie der Städte"]
Ein bedeutender Indikator für die Entwicklung der Industrie und der industriellen Gesellschaft ist der Eisenbahnbau mit seinen zahlreichen initiierenden Wirkungen auf den Ausbau der Schwerindustrie durch die Verbundwirtschaft von Kohle und Eisen, den Aufbau und die Erschließung neuer Wirtschaftsgebiete, die Revolutionierung des Verkehrs-und Transportwesens und des Wachstums der Städte.
Die Organisation der sozialen Sicherheit auf der Basis eines Arbeitsverhältnisses lag ganz in der Tradition der Lösung der "sozialen Frage" des 19. Jahrhunderts. Sowohl die sich nach 1860 bildenden Gewerkschaften und Arbeiterparteien wie die Bismarcksche Sozialgesetzgebung hatten den in einem "normalen" Arbeitsverhältnis stehenden Menschen zur Voraussetzung.
Nachfolgend eine kurze Übersicht:
1863 gründet Ferdinand Lassall in Leipzig den Allg. Deutschen Arbeiterverein als erste sozialistische Partei. Sein nationales Programm erwartet die Lösung der sozialen Frage von allgemeinem gleichen Wahlrecht und von staatlich geförderten Produktiv-Genossenschaften. [Es gibt auch noch die von Herman Schulze-Delitsch (1808-93) gegründeten gewerblichen Genossenschaften (Einkaufs-, Verkaufs-, Vorschussvereine für Handwerker) und die von Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-88) begründeten bäuerlichen Genossenschaften. Ab 1854 sind diese Spar-und Darlehenskassen zur Finanzierung von Saatgut, Maschinen u.a..
1878 wird das Sozialistengesetz verabschiedet: Verbot der Parteipresse und -organisation; die SPD hält Parteitage in London und der Schweiz ab. Der politische Erfolg der Sozialgesetzgebung bleibt aus; die SPD wächst von Wahl zu Wahl.
In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts kam die "neue soziale Frage" hinzu; sie wurde 1975 u.a. von den CDU Politikern Kurt Biedenkopf, Heiner Geissler und Richard von Weizsäcker in die Diskussion eingebracht. Darunter verstand man Konflikte zwischen Gruppen, deren Interessen nicht, oder schlecht organisiert sind (z.B. alte Menschen, Behinderte, Arbeitslose, kinderreiche Familien, Gastarbeiter) Erfahrungsgemäß werden die nicht organisierten Interessen in der Sozialpolitik und im Wirtschaftsleben nicht hinreichend berücksichtigt. Die soziale Sicherheit dieser relativ großen Bevölkerungsgruppe wird im gegebenen Fall als individuelles Schicksal angesehen und den Institutionen der Sozialfürsorge zugewiesen.
Auch der Übergang von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft durch die Informationstechnik ist mit Krisen, Frustrationen, Risiken sowie neuen Herausforderungen verbunden.
Die digitale Frage
Die Geschichte der Informationstechnik ist die Geschichte der Auswirkungen von oft sprunghaften Leistungssteigerungen sowie
Es ist aber kein bestimmter Beginn der Informationsgesellschaft feststellbar. Vielmehr handelt es sich um einen allmählichen Übergang. Zu Beginn dieses Wandels (seit ca. 1970) gab es noch keinen die gesamte gesellschaftliche Dynamik erfassenden und die Sozialstruktur typisierenden Begriff, sondern eine Vielzahl von Bezeichnungen wie "spätkapitalistische Gesellschaft", "spätindustrielle Gesellschaft" die eher einen Hinweischarakter besaßen. Stellvertretend für diese Entwicklung sei Daniel Bells Werk über die "nachindustrielle Gesellschaft" aus dem Jahr 1973 genannt. Es kann als eines der fundiertesten Werke der Sozialstruktur und des sozialen Wandels wie der in die Zukunft weisenden Trends entwickelter Industriegesellschaften angesehen werden.
Bell benennt fünf wichtige Dimensionen der 'nachindustriellen Gesellschaft', eine davon die "Entscheidungsbildung". Darunter versteht Bell die Schaffung einer neuen "intellektuellen Technologie", d.h. das Ersetzen bisheriger Entscheidungsverfahren durch das Aufstellen von "Regeln zur Lösung von Problemen, wie sie in einem Automaten, einem Computerprogramm" etc. zum Ausdruck kommen (Bedeutung der mathematischen Informationstheorie, Kybernetik, Entscheidungstheorie, Spieltheorie,etc. ) [Bell, Daniel, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt/M,New York, 1975, S. 45; amerik. Original 1973: The Coming of Post-Industrial Society. A Venture in Social Forecasting]
Grundgedanken dieser nachindustriellen Gesellschaft gehen letztlich aber auch auf Claude-Henri de Saint Simon (1760-1825) zurück, den 'Propheten des Industriesystems'; für ihn war bereits selbstverständlich, dass die industrielle Gesellschaft auch das wissenschaftliche Wissen auf soziale Belange anwenden würde. Ebenso war er davon überzeugt, dass dem "technicien" eine leitende Stellung nicht nur in der Industrie zukomme, sondern auch im politischen System, welches mehr und mehr einer rationalen Verwaltung von Sachen gleiche. Das Aufkommen der nachindustriellen Gesellschaft, wie jeder andere Transformationsprozess stellt, "die für jede Gesellschaft zentrale Verteilung von Reichtum, Macht und Status in Frage".(Bell S. 53)
Der französische Mediensoziologe Paul Virilio, beschäftigt sich wenige Jahre später mit der Kategorie Geschwindigkeit. Die von ihm begründete Theorie der Geschwindigkeit nennt er selbst Dromologie (von griech. Dromos, Lauf, Schritt). In der Lehre von der Geschwindigkeit überlagert sich bei Virilio Technikgeschichte, Kriegsstrategie, Urbanistik, Physik und Metaphysik. Die Postmoderne ist für Virilio ein Zeitalter, das durch eine sich verselbständigende Beschleunigung hin zu absoluter Geschwindigkeit charakterisiert ist. Macht ist für Virilio identisch mit der Macht über Geschwindigkeit.[Paul Virilio, Geschwindigkeit und Politik, Berlin 1980; frz. Original: "Vitesse et Politique. Essai de Dromologie, Paris, 1977]
Der Gedanke der Identität von Macht mit Macht über Geschwindigkeit führt zur Frage, wer aktuell und in Zukunft über Macht in virtuellen Welten verfügt, also auch, wer die Träger der Macht im weltumspannenden Internet sind. Sind es die Besitzer von Informationen (Google, Apple, Facebook, Wikileaks?) oder die Herrscher über die Netze, welche Server abschalten können, um Informationsbeschaffung entweder zu unterdrücken oder aber zumindest den Zugang erschweren.[Ein bemerkenswertes Beispiel ist hier die Schnellabschaltung aller Mobilfunkdienste und damit auch die Unterbrechung der sozialen Netzwerke während der Aufstände in Nordafrika, besonders Ägypten. Vielfach wird in diesem Zusammenhang von 'Wikileaks- oder Facebookrevolution' gesprochen. Vermutlich ist es aber eine Komibination der genannten und ganz normalen Handys, die hier Wegbereiter ist. Der Autorin war es nicht möglich anhand der Bilder festzustellen, ob die auf dem Tahrir Platz benutzten Handys Smartphones oder normale Handys waren, die dort Protestierenden also weiterhin sich über Facebook 'organisierten' oder ganz traditionell per Telefon.
Die digitale Frage ist gekennzeichnet durch Neuorientierung der Alltagswelt und der Zivilgesellschaft, die sich im Netz trifft, aber dann auch außerhalb des Netzes handelt: es geht um die Integration und Verflechtung der Alltags-mit der Netzwelt. Im Zentrum der 'digitalen Frage' stehen aber auch, genau wie bei der sozialen Frage, 'Überzählige', scheinbar Nutzlose und um sie herum ist ein noch nicht genau bestimmbarer Bereich von Situationen, die von Prekariat ebenso geprägt sind wie von der 'connectivity revolution'. Es handelt sich aber nicht um eine Variable des alten Problems, sondern eine völlige Umwälzung, die in gänzlich neuer Form das Problem aufwirft, wie wir uns vor dem Hintergrund größerer Verwundbarkeit der Sicherung von Lebensstandards stellen wollen und welche Standards dies sein könnnen. Früher erwuchs aus der Arbeit eine soziale Identität von Status. Diese Gewißheit ist erschüttert vor allem in den westlichen Industrieländern, aber nicht nur dort, wie die politischen Aufstände in Nordafrika zeigen. Es gibt nach wie vor eine Gemeinschaft, nur existiert diese über Staatsgrenzen hinweg.
Unter den durch die veränderten politischen Konstellationen und den sich in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften angleichenden ökonomischen Bedingungen soll sich jeder Bürger als Unternehmer, als Eigentümer seiner Ware Arbeitskraft begreifen, mithin für sein Schicksal selbst verantwortlich sein (Ich-AG). Gefordert werden von dem Einzelnen Mobilität, Kreativität, Flexibilität, soziale Kompetenz als Bedingung für Anpassungsfähigkeit sowie die Bereitschaft zur Weiterbildung unter dem Stichwort 'Lebenslanges Lernen'..Dem vagabundierenden Kapital steht der Wanderarbeiter der Neuzeit gegenüber. Es entsteht kein neuer Sicherungsmechanismus aus sich heraus.
Im digitalen Zeitalter sind soziale Netzwerke entstanden. Sozial bedeutet aber nicht mehr im ursprünglichen Sinne materielle Sicherheit sondern informationelle Zusammengehörigkeit. Die Zivilgesellschaft trifft sich im Netz, kommuniziert durch Kurznachrichtendienste wie Twitter. Die Netzgesellschaft ähnelt der Agrargesellschaft; wie in der Agrargesellschaft sind Individuen wieder mehr für sich selbst verantwortlich, aber auf globalem Niveau.
Aktive Demokratie
Eine aktive Demokratie ist gekennzeichnet durch ausreichende Informations-und Beteiligungsmöglichkeiten. in diesem Zusammenhang fallen häufig die Begriffe Transparenz und Information. Aber was versteht man eigentlich unter diesen Begriffen? Nachfolgend eine skizzenhafte Darstellung:
TRANSPARENZ
Transparenz ist wichtig bei Entscheidungsfindung, Vertragsabschlüssen und allgemeiner politischer Berichterstattung. Transparenz soll integraler Bestandteil sein von Wirtschafts-, Gesundheits-, und Rechtspolitik. Hier stellt sich die Frage, was verstehen wir eigentlich unter Transparenz? Die Autorin Mely Klyak schreibt in ihrer Kolumne: "Ehrlichkeit und Transparenz sind Tugenden unserer Demokratie." [Berliner Zeitung 5./6.02.2011]
Bei Transparency International(TI-Hauptschwerpunkt ist die Bekämpfung von Korruption) findet sich folgende Definition: Grundprinzpien sind "Integrität, Verantwortlichkeit, Transparenz und Partizipation der Zivilgesellschaft". Ziel ist die Stärkung nationaler und international Integritätssysteme. Weiter heißt es: "Demokratie bedeutet gleiche Zugangsmöglichkeiten zu politischen Entscheidungen und setzt den gleichen und freien Zugang zu den entscheidungsrelevanten Informationen voraus". Einerseits ist Transparenz ein Teil von Demokratie; ersetzt man aber Demokratie durch Transparenz, so entsteht eine Definition für Transparenz in Umrissen, denn was für die Demokratie gilt, beschreibt gut Anforderungen an Transparenz.
In einem Interview zum Thema Wikileaks, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Eva Horn, "Totale Transparenz ist auch totale Überwachung" [David Hugendick: Totale Transparenz ist auch totale Überwachung, Zeit-online, 03.02.2011, http://zeit.de/kultur,2011-02/interview-eva-horn] Aber der von ihr beklagte Verlust an öffentlicher Kontrolle und rechtlicher Belangbarkeit, kann im Falle der aktiven Demokratie nicht gemeint sein. Es geht bei Transparenz im Rahmen von Bürgerbeiteiligung nicht um investigatives Vorgehen, wie bei Wikileaks, sondern Kooperation unterschiedlicher Ebenen. Es gibt eine andere Struktur von Öffentlichkeit, aber von entscheidender Bedeutung ist die Kompetenz, Informationen in einen Kontext zu stellen, egal wo man sie liest, ob online oder offline. Wenn das 20. Jahrhundert das Zeitalter des Verrats war, wie es Horn beschreibt, dann ist das 21. Jahrhundert vielleicht das der Überforderung, medial, informativ und sozial. Dies gilt es zu bearbeiten. [ Eine solche Überforderung beschreibt sehr schön Arno Widmann in seinem Artikel "Bitte Anschnallen!, Berliner Zeitung, 31.12./01/02.01.2011]
Ein bemerkenswertes Beispiel für die Vielschichtigkeit von Transparenz bietet das Anliegen des Volksentscheid des Berliner 'Wassertisch-Bündnis'. Der Berliner Senat behauptet, alle Vertragstexte sind im Netz, die Initiative sagt nein, vor allem vor dem Hintergrund, dass bisher kein Senatsmitglied sich dafür verbürgt hat. Der Initiative geht es aber um mehr: Nur durch die Veröffentlichung aller Verträge kann eine Rücknahme der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe erfolgen. Hätten Senat und Abgeordnetenhaus den Gesetzestext anerkannt, würde kein Volksentscheid benötigt. Dies wurde aber abgelehnt mit der Begründung, dass einige Passagen starke Eingriffe in das Vertragswerk vorsähen, das unter Umständen für unwirksam erklärt werden solle. Hier zeigt sich: Nicht totale Transparenz ist notwendig, sondern die Bereitstellung aller relevanten Informationen. Entscheidend ist natürlich auch, wer darüber befindet; ist erst einmal Vertrauen zerstört, muss es durch mühsame Aufbauarbeitt wieder hergestellt werden.
Ein ähnliches Beispiel bietet der geplante, und nunmehr gestoppte Verkauf der Berliner Immobilien Holding (BIH). Ein Grund für den Verkaufsstopp war laut Senat, dass das Käufer-Konsortium nicht die geforderte Transparenz über das Geschäft herstellen wollte. Hier ist es wichtig zu wissen: Hat der Senat vor Beginn der Verhandlungen auf die besonderen Transparenzbedingungen hingewiesen? Kannte das Konsortium diese also vorher, hat also erst zugestimmt und dann abgelehnt? Was hat diesen Sinneswandel ausgelöst? Geschah die Ablehnung so kurzfristig dass kein neues Konsortium gefunden werden konnte? Oder gab es andere Gründe?
Transparenz kann nicht verordnet werden, sie muss sich entwickeln. Transparenz ist kein Wert an sich, keine konstante Größe sondern ein Erfahrungswert; sie ist eine Variable, abhängig u.a. von Vertrauen in z.B. politische und wirtschaftliche Prozesse sowie deren Vertreter, Mandatsträger aber auch Investoren, um nur einge zu nennen.
Aber: Transparenz bedeutet nicht automatisch Gerechtigkeit, sie macht häufig Komplexität erst sichtbar..
INFORMATION
Wie gewinnen wir Erkenntnis? Thomas von Acquin (1225-1274) gibt die Antwort, die Aristoteles gegeben hatte: nicht durch Teilhabe an göttlichen Ideen (oder Erinnerung an diese), sondern vor allem durch Erfahrung auf Grund der Sinneswahrnehmungen. Thomas ist Empiriker. Alles Material unserer Erkenntnis stammt aus den Sinnen; aber nur das Material. Der tätige Intellekt bildet dieses Material weiter. Die sinnliche Erfahrung zeigt uns nur das individuelle Einzelding; hier zeigt sich bereits in einem frühen Stadium ein Aspekt der grundlegenden Erkenntnislehre Kants nach welcher Erkenntnis entsteht im bildendenden Gestalten der durch die Sinneswahrnehmung gegeben Erscheinungen mitttels der im Menschengeist liegenden Denk- und Anschauungsformen.
Eine spezielle Art von Information beschreibt General von Clausewitz in seinem Kapitel 'Nachrichten im Kriege': "Mit dem Worte Nachrichten bezeichnen wir die ganze Kenntnis, welche man von dem Feinde und seinem Lande hat, also die Grundlage aller eigenen Ideen und Handlungen." Gleichzeitig geht er aber auch von einem Grundmisstrauen aus, das die meisten Menschen befällt, ob sie denn auch alle Nachrichten bekommen haben und wie diese zu bewerten sind. Clausewitz stellt fest:"Die meisten Nachrichten sind falsch... in der Regel ist jeder geneigt, das Schlimme eher zu glauben als das Gute..." Die Schwierigkeit richtig zu sehen, welche eine der allergrößten Friktionen im Kriege ausmacht, läßt die Dinge ganz anders erscheinen, als man sie gedacht hat. Die Probleme bei der Entscheidungsfindung aufgrund vermeintlich widersprüchlicher Nachrichtenlage fasst er folgendermasse zu sammen:" Dies ist eine der größten Klüfte zwischen Entwerfen und Ausführen." [Carl von Clausewitz:Vom Kriege.18.Auflage mit erweiterter historisch-kritischer Würdigung von Prof. Dr. Werner Halweg, Bonn 1973, 6. Kapitel: Nachrichten vom Kriege, S.258-260]
Entscheidend für die Bürgerbeteiligung ist der Anspruch der gewählten Politiker/Verwaltungs- und Planungsfachleute zur Bereitstellung aller für das Vorhaben relevanten Informationen, sowie deren Analyse und Erörterung. Oder wie es Cobus de Swardt von Transparency International in einem Vortrag formulierte: Kritische und konstruktive Begleitung ist erwünscht; hier ging es zwar um Bekämpfung der Korruption, was seinen Ausführungen nach Teil des Geschäftsplans sein muss, um die Bedeutung für die Firma zu belegen. [Corbis de Swardt. Vortrag im Rahmen der open lecture an der esmt, 3.02.2011] Auf die Bürgerbeteiligung übertragen kann das heißen, Transparenz muss Teil des politischen Konzepts sein um zu überzeugen. Mit anderen Worten: Transparenz bringt 'Rendite' in Form von höherer Zufriedeneheit beim Bürger.
Information, Kommunikation, Wissen und der kompetente Umgang damit bilden die Grundlage unserer Gesellschaft. Es bedarf vieler Informationen, genauer: des Werts von Informationen, der Erkenntnis, wie man im Zeitalter permanenter Datenvernetzung sich diese Informationen verschafft, sie schützt, interpretiert, aber auch des Bewußtseins, dass sie missbraucht werden können. Dies bildet die Grundlage für die aktive Demokratie.
WIESO "AKTIVE DEMOKRATIE?"
Wie der bekannte Historiker Fritz Stern bemerkte, "Demokratie braucht Vertrauen auf allen Ebenen." [Interview "Fortschritt hat Nebenwirkungen", Der Tagesspiegel, 30.01.2011; zum Demokratiebegriff vgl. die Ausführungen im Abschnitt:Demokratie, eine Kurzdefinition im Artikel "Die digitale Demokratie-kein Mythos sondern eine Herausforderung" auf dieser Webseite]
Beide Seiten müssen aufeinander zugehen, Bürger und Politiker. Politik beklagt auf der einen Seite, dass die Bürger politische Handlungsspielräume zu selten wahrnehmen und andererseits eine 'dagegen' Kultur. Aber in zeitlich begrenzten Projekten, lokalen Initiativen gibt es eine Vielzahl von Aktivitäten und Engagement – eine Bündelung solcher Aktivitäten auf einer elektronischen Plattform kann die aktive Demokratie sein.
Die Frage lautet also: Bürgerbeteiligung, aber wie? Wichtig ist, dass die Bürger die Möglichkeit erhalten, nicht nur im Rahmen des üblichen Legislaturperiodenrhytmus jederzeit über politische Fragen ein Meinungsbild abzugeben, denn nur praktikable und bürgerfreundliche Verfahren liefern überzeugende Ergebnisse und sorgen für breite Akzeptanz der Meinungsbildung.
In diesem Artikel wird vereinfacht von drei unterschiedlichen Gruppen von Bürgern ausgegangen:
Eine AKTIVE DEMOKRATIE braucht mindestens zwei interaktive Pfeiler: die innerparteiliche Demokratie und eine verstärkte Beteiligung der Bevölkerung. Ein geeignetes Beispiel ist das Demokratiewerkzeug LiquidFeedback, welches die Piratenpartei nutzt. Für die lokale, aber auch die internationale Ebene kann eine Erweiterung als LFB (B=Bürger) erfolgen.
Die Einführung dieses revolutionären Systems zur Mitgliederbeteiligung, LiquidFeedback/LF [siehe dazu den Artikel "Die digitale Demokratie – kein Mythos sondern eine Heruasforderung, Abschnitt LF und Schlußbetrachtungen auf dieser Webseite] erfolgte auch bei der Piratenpartei nicht ohne Auseinandersetzungen. Der Streit betrifft besonders die Forderung, entgegen dem eigenen Transparenzanspruch anonym Politik betreiben zu wollen. Abgesehen von der technischen Unmöglichkeit [Wahlcomputerproblematik, siehe dazu http://wahlcomputer.ccc.de] offenbart sich hier nach Auffassung der Entwickler die Doppelmoral einiger Mitglieder. So entstanden zum Beispiel Nutzungsbedingungen, die aus Datenschutzgründen vorsehen, den Zeitpunkt der letzten Nutzung nicht zu speichern. Gleichzeitig gibt es den Wunsch, Delegationen nach einer bestimmten Zeit der Inaktivität zu deaktivieren; dazu muss man aber wissen, wie lange jemand inaktiv war. Hierzu benötigt man zwingend das Datum des letzten Logins. Streitigkeiten wie diese haben dazu geführt, dass das LF-Entwicklerteam in einem offenen Brief an die Bundesebene der Partei die weitere Betreuung von LF auf Bundesebene niedergelegt hat. [http://darkbln.wordpress.com/2011/01/03/offener-brief-liquid-democracy] Die Stellungnahme des Bundesvorstands findet sich unter [http://vorstand.piratenpartei.de/2011/01/06/stellungnahme-zum-offenen-brief-der-liquidfeedback-entwickler/]
Bürgerbeteiligung hat Signalwirkung; der Begriff weckt eine bestimmte Erwartungshaltung. Die konkrete Ausgestaltung bleibt nicht ohne Folgen. Die LF Beteiligungsplattform ist flexibel genug, um kurzfristige Änderungen an einem Vorhaben öffentlich zu machen und ein Meinungsbild einzuholen. An solchen Diskussionen/Erörterungen/Debatten sind von Anfang an Experten beteiligt; wenn diese allerdings in überwältigender Mehrheit befinden, ein Projekt sei nicht sinnvoll und damit auch Bürger/Anwohner überzeugen, dann erübrigt sich möglicherweise Großwiderstand wie bei Stuttgart 21 von selbst.
Es handelt sich um eine interaktive Plattformen mit Funktionalität. Wer ist der Adressat? Der Bürger. Die Plattform ist keine statische Einrichtung sondern ebenfalls flexiblen Entwicklungen unterworfen. Um ein solches Vorhaben von Bürgerbeteiligung umzusetzen bedarf es einer längeren Testphase. Diese muss Fragen beantworten helfen wie z.B.: mit welchen Fristen muss ein Meinungsbild bei bestimmten Vorhaben erstellt werden in welchem Bereich?
Zeit ist ein entscheidender Fakor; Es ist sogar möglich Befürwortung/Zustimmung für Infrastruktur-Großprojekte wie Bahnhöfe, Flughäfen, vielleicht sogar Kraftwerke zu erreichen. Allerdings muss die Planung solcher Vorhaben einige Grundvoraussetzungen erfüllen, wie z.B. rechtzeitige, nachvollziehbare, und offene Gestaltung. Es geht darum dem Bürger realistisch darzulegen, warum dieses Projekt/Vorhaben notwendig ist. Partizipartive Vorgehensweisen beschneiden nicht per se Macht, sondern bieten die Möglichkeit existierende Machtungleichgewichte zu verringern. Bisheriges Defizit ist mangelnde Bürgerbeteiligung. Ob dies ausgegelichen werden kann, hängt auch davon ab, welche Bürgergruppen sich beteiligen. Vermutlich werden die Gruppen 1 und 3 zunächst die aktivsten sein; eine überzeugende Ausgestaltung und vor allem Geduld kann aber auch Mitglieder von Gruppe 2 motivieren sich zu beteiligen; ähnlich wie bei Wahlen ist aber davon auszugehen, dass niemals alle Bürger ein solches Angebot zur Beteiligung annehmen.
Was haben Politiker/Entscheidungsträger davon?
Ohne Kenntnis der Grundlangen ist verantwortliches Handeln nicht möglich. Einerseits ermöglicht Bürgerbeteiligung mit Unterstützung einer LFB-Plattform Planungsvorteile durch höhere Akzeptanz eines Vorhabens. Es hilft ein Vorhaben zu bewerten, die Bewertung einer Öffentlichkeit verständlich zu machen und Maßnahmen vorzuschlagen, die sonst unter Umständen mehrere Jahre in Anspruch nehmen und dabei flexibel zu sein. Andererseits darf Bürgerbeteiligung aber nicht so komplex gestaltet sein dass die Beteiligten, Bürger wie Politiker abgeschreckt und entmutigt werden. Wer jemals einen Bebauungsplan betrachtet hat, weiss, das dies keine eingängige Angelegenheit ist, wenn es um Bruttogeschossflächen, Abstandsflächen, Ausmaßen von Baukörpern geht.
Jede Veränderung ist erst einmal schwierig und neu für die politische Kultur. LFB ist die ideale Ergänzung zur Volksbefragung mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts. Für eine Volksbefragung ist ein bestimmter Stichtag erforderlich; für ein Volksbegehren, mit dem ein Volksentscheid herbeigeführt werden kann, müssen viele Unterschriften gesammelt werden. Weder Bürger noch Politiker sind Experten auf allen Gebieten; aber Experten können in LFB hinzugezogen werden, indem ihre Stellungnahmen zu den dazugehörigen Vorhaben ins Netz gestellt werden. Selbstverständlich ist es möglich, dass die Bürger nicht nur über lokale Vorhaben ein Meinungsbild erstellen, sondern auch über bundespolitische Anliegen. Vorausgesetzt in allen Wahlbezirken der Bundesrepublik gibt es LFB, dann können die Bürger auch ein Meinungsbild über den Ausstieg zur Atomkraft abgeben.
So besteht die Möglichkeit, die "Konfrontation zwischen dem Erfahrungshorizont der Menschen und den Apparaten politischer Regulierung" zu mildern. Dabei geht es weniger darum, welche Partei sich 'zur Partei der Zukunft' macht; alle sind hier gefordert; jede Partei hat die Möglichkeit LF als innerparteiliches Instrument einzusetzen, so sie für breitere innerparteiliche Kritik aufgeschlossen ist. Welche Themen sie mit diesem Demokratiewerkzeug dann bearbeitet, richtet sich nach der jeweiligen politischen Präferenz. [Zitate aus einem Interview: Heinz Bude, Die gute Gesellschaft, Berliner Zeitung, 13.01.2011]
Bürgerbeteiligung sollte aber nicht dem Zufallsprinzip folgen. Ein nicht nachahmenswertes Beispiel lieferte in dieser Hinsicht kürzlich die Berliner Senatsbauverwaltung, als sie um Bürgerbeteiligung bei der Gestaltung des Gendarmenmarktes einlud. Es ging um die Frage: Sollen die Kugelahornbäume abgeholzt werden oder nicht?
Konkret lief das folgendermassen ab: Am 25.01.2011 gab es ab 16.00 Uhr eine Podiumsdiskussion im Konzerthaus und ab 19.30 Uhr durften dann zufällig anwesende Touristen und Berliner abstimmen;einzige Bedingung für das Gelingen war eine Mindestanzahl von 500 Teilnehmern.. Ergebnis: 596 Stimmen für den Erhalt der Bäume in der gegenwärtigen Form (Variante D), 54 für den Erhalt der Bäume an der Charlottenstr. (Variante B), 77 für den Erhalt der Bäume an der Französischen Str. (Variante C) und 149 für die komplette Abholzung (Variante A). [Sabine Flatau, Ahornbäume am Gendarmenmarkt bleiben, Berliner Morgenpost, 29./30.01.2011] [http://www.stadtentwicklung.berlin.de]
Ein derartiger Entscheidungsprozess, dessen politisches Hauptmerkmal/ -kriterium die Beliebigkeit und der Zufall ist, sendet ein falsches Signal an den Bürger; es vermittelt weder Wertschätzung für das Vorhaben, noch die Meinung der Bürger.
Zur Zeit stehen sich zwei unterschiedliche Auffassungen beim Thema Bürgerbeteiligung gegenüber: Einmal das Innenministerium, welches einen Gesetzentwurf zur "Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren" vorgelegt hat, der den Einfluss der Bürger zurückdrängen soll.[Joachim Jahn: Großprojekte sollen schneller genehmigt werden, Faz-online 6.01.2011 http://www.faz.net]
Der BUND fordert hingegen eine ergebnisoffene Grundsatzanhörung von Bürgern im Frühstadium der Planung, dem Raumordnungsverfahren. Hier müsse das Projekt und seine Alternativen frühzeitig öffentlich gerechtfertigt werden. [http://www.BUND.net]
Ein neues Medium verdrängt ein altes nicht, aber es sorgt für Veränderung. Wichtig ist, sich eine eigene Meinung durch Teilhabe und Teilnahme am Kommunikationsprozess zu bilden. Das Internet ist eine Einladung zur Information. Es geht nicht um permanente Anwesenheit und Verfügbarkeit im virtuellen Meinungsraum sondern, regelmäßige genaue Information die für möglichst viele leicht zugänglich sind und vom Bürger jederzeit abrufbar. Selbst die 'Mediatorenveransttaltung Stuttgart 21' mit Live-Stream ist keine Beteiligung aller, denn die meisten, wenn auch sehr viele, waren Zuschauer und nicht z.B. durch eine Twitterwand mit dem runden Tisch verbunden.
Es hat in den letzten Jahren an konstruktivem Meinungsaustausch zwischen Bürgern und Regierung, aber auch Land und Bund sowie den Parlamentariern untereinander und der Öffentlichkeit im allgemeinen gemangelt. Wir müssen also lernen, nicht nur schneller, sondern vor allem konstruktiver miteinander zu kommunizieren. Hierzu kann LFB einen Beitrag leisten.
Moderne Zeiten
Der Übergang von der Agrar-zur Industriegesellschaft begann um 1600, dauerte in den meisten Fällen 100 bis 300 Jahre und ist in vielen Ländern der Welt noch nicht vollendet. Der Übergang von der Industrie-zur Informationsgesellschaft begann in mehreren Ländern um 1900 und dürfte einen ähnlich langen Zeitraum bis zu seinem Abschluss erfordern. Der Übergang von der Agrar-zur Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert hat die Lebensbedingungen der Menschen tiefgreifend verändert. Vor einer ähnlichen Situation stehen wir heute, bei allerdings unvergleichlich schnellerem Tempo beim Übergang zur Informationsgesellschaft in ihrer digitalen Ausprägung.
Der Glaube, die idealistische Vorstellung von Fortschritt, dass das Morgen besser als das Heute sein wird, dass man Vertrauen in die Zukunft haben kann, ist abhanden gekommen. Der Sozialstaat der Prägung wie wir ihn kennen, begann als fragmentarischer 'Akt'. In dem Maße, wie er erstarkte, entwickelte er auch die Ambition, den Fortschritt zu lenken.
Informationstechnologien katapultieren die Menschen aus dem Informations-ins digitale Zeitalter. In der Netzwelt gibt es Spannungsbögen zwischen Transparenz und Privatsphäre. Ebenso wie die Ausgestaltung der Sozialgesetzgebung, muss auch eine neue Form von Bürgerbeteiligung im Netz erst entwickelt werden. Dies kann anstrengend und frustierend für die Bürger, aber auch die Entwickler sein; es wird keine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung in dieser Netzwelt geben, so wie beim Kosten-Nutzenvergleich von Flügen, Hotelzimmern etc. Es findet ein mühsamer Prozess innerhalb wie außerhalb des Netzes statt, vermutlich noch komplizierter durch die Fülle der bereitgestellten Informationen; dadurch kann ein Gefühl der Überforderung eintreten. Dem kann teilweise dadurch begegnet werden, dass rechtzeitig und über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit der Beurteilung aller am Prozess beteiligten ermöglicht wird. Transparenz und Privatsphäre schließen sich nicht aus sondern bedingen einander. Zur Transparenz gehört Akzeptanz. Konkret geht es um Verflechtungen und Integration der Alltags- mit der Netzwelt!
Die Zunahme an Komplexität in der Politik ist Chance und Herausforderung zugleich. In einer Aktiven Demokratie hat jeder Bürger das Recht und die Möglichkeit sich verstärkt in die Politik einzubringen. Die Bürger brauchen dazu die Gelegenheit, nicht nur im Rahmen des üblichen Legislaturperiodenrhythmus jederzeit über politische Fragen ein Meinungsbild abgeben zu können. Die Revitalisierung der Demokratie ist notwendig, dazu gehört das Ausloten von Handlungsspielräumen ebenso wie die digitale Kompetenz.
10. Februar 2011
Nachtrag:
Der Volksentscheid "Unser Wasser" war der erste erfolgreiche Volksentscheid in Berlin. Die Bürger stimmten damit für die vollständige Offenlegung der Verträge zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe von 1999. Sie stimmten damit gegen den Senat, der den Volksentscheid für überflüssig hielt. Die hohe Anzahl der Ja-Stimmen ist vor allem ein Zeichen von Mißtrauen; diese Bürger glaubten den Aussagen des Senats nicht, dass bereits alle relevanten Verträge veröffentlicht wurden.
Der erfolgreiche Volksentscheid deutet an, dass Transparenz keine konstante Größe, sondern eine Variable ist, abhängig u.a. von Vertrauen.
15.02.2011