Vortrag/Kurzpapier

Kreation, Dedikation, Applikation, welche Forschung soll es sein?

von Dr. Angelika Brinkmann

 

Im Bereich der multifunktionalen Technologien gilt es, strukturelle und systematische Elemente zu unterscheiden. Die strukturellen Elemente beinhalten folgende Kategorien: multifunktional, ambivalent, dual-purpose, dual-use, militärisch-zivil. Diese Elemente haben ihre Entsprechungen auf der Waffen-bzw. Technikentwicklungsebene: System, Subsystem, Komponente, Partikel und Elementarteilchen. Jedes dieser Elemente existiert in mehr als einer Form, die dazu beiträgt, festzustellen, ab welchem Punkt in der technologischen Entwicklung die Technologiepolitik eher durch vorgefasstes Wissen, Glauben und Geschmäcker derer, die am Entscheidungsprozess mitwirken, beeinflußt wird, oder ob nicht eher Faktoren außerhalb dieser Entscheidungseinheiten mit in diese Überlegungen einbezogen werden müssen, um das Ergebnis eines Entscheidungsprozesses zu verstehen. Es sollen hier drei Entwicklungsstadien propagiert werden: 1) Kreation, 2) Dedikation, 3) Applikation.


Kreation
Bei diesem Stadium von Forschung und Entwicklung (F+E) handelt es sich um die Grundebene, auf welcher Entscheidungen sowohl bezüglich militärischer als auch ziviler Entwicklungen getroffen werden.
Früher oder später muss jede Angelegenheit, die auf dem Tisch einer Firma oder Regierung landet, auch behandelt werden. Dies kann auf zweierlei Weise geschehen: Es wird gar keine Entscheidung getroffen, weil der Zeitpunkt für eine Entscheidung bereits durch außenstehende Faktoren überschritten wurde; es kann aber auch sein, dass bestimmte Entscheidungsträger (Firmenleiter, Manager, Politiker) sich nicht mit der Angelegenheit befassen wollen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass eine oder mehrere Entscheidungen getroffen werden – vielleicht sogar die Entscheidung nicht szu tun. Kommt es zu einem Entschluss, so kann dieser sowohl von einem Individuum, einer Gruppe von Individuen oder einer Vielzahl von Akteuren getroffen werden, die sowohl [1] die Fähigkeit haben, bestimmte Geldmittel, die eine Regierung oder Firma braucht, um Forschung zu betreiben, zuzuteilen oder zurückzuhalten, und die [2] die Autorität oder Macht haben, andere Personen, die außerhalb einer Regierung oder Firma stehen, als vollwertige Teilnehmer in den Entscheidungsprozess eintreten. Der Hauptausgangspunkt ist aber nach wie vor, dass für die meisten F+E Probleme am Ende jemand eine Entscheidung trifft, Mittel bereitzustellen oder zurückzuhalten, welche nicht sogleich wieder zurückgenommen werden kann; diese Person oder Personengruppe bildet die absolute Entscheidungseinheit bezüglich dieser bestimmten Angelegenheit zu diesem bestimmten Zeitpunkt.


Dedikation
Alle zentralen Elemente der Einheit (Komponenten/Subsysteme, Ambivalenz/Ambiguität) fallen in diese Kategorie (siehe dazu Abb. 1 und 2). Diese Einheit bildet die Schnittstelle im Entscheidungsprozess. Hier wird ihr weitere Bedeutung verliehen im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel im Rahmen der Entwicklung, entweder bezüglich der Technik selbst oder ihrer politischen Gewichtigkeit.

Klassifizierung: Es ist möglich eine Auswahl absoluter Entscheidungseinheiten zu benennen, etwa in der Art, dass eine dieser Einheiten für jede gegebene F+E Entscheidung zuständig ist. Ich gehe davon aus, dass man im Prinzip die Art der Technologien, die die absolute Entscheidungseinheit bezogen auf eine bestimmte F+E-Entscheidung bilden, definieren kann. Die sich daran anschließende Aufgabe besteht darin, das Verhältnis zwischen den Technologien innerhalb dieser bestimmten Auswahl zu beschreiben. Die einzelnen technologischen Hauptklassifizierungen sind folgende (siehe auch Abb.1):

1. Ein komplexes Waffensystem: ein (Waffen)System als Ganzes, welches eine Vielzahl von Einzeltechnologien beinhaltet.

2. Subsystem: eine Anzahl von Einzeltechnologien, die alle Teil eines (funktionierenden) einzelnen Systems sind und zusammen ein komplexes System bilden.

3.Komponenten: Die benötigten Komponenten sind verschiedenartige separate Technologien, Elementarteilchen und Partikel, welche, wenn einige oder alle aufeinander treffen, ein komplexes System bilden können, die aber einzeln nicht die Fähigkeit haben, sich in ein komplexes System zu verwandeln. Hierunter würde auch der Begriff 'Basistechnologie' fallen.

4.Elementarteilchen und Partikel: Hier gilt die gleiche Definition wie für die Komponenten mit dem Zusatz, dass sie Teil einer Komponente sind oder eine bilden können.

Was den F+E-Entscheidungsprozess betrifft, so sollten Analytiker in der Lage sein, jene Technologiestadien zu klassifizieren, die ein bestimmtes Entwicklungsstadium eines (Waffen)Systems beschreiben, welches sich in einer der vier oben genannten Kategorien befindet. In einigen Ländern kann es durchaus sein, dass ein Ministerium in nahezu allen F+E-Angelegenheiten eine vorherrschende Stellung einnimmt. Es sollte allerdings auch hervorgehoben werden, dass sich in vielen Ländern, die Entscheidungsebene verändert, je nachdem, welche Sache gerade bearbeitet wird oder welche technologische Entwicklung gerade gefördert werden soll.
Jede dieser Klassifizierungen kommt auf einer oder mehreren Ebenen) vor, welche nicht nur die direkten Auswirkungen auf die letztendliche politische Entscheidung bestimmen, sondern auch das Ausmaß, in dem Faktoren, die ausserhalb des Entscheidungsprozesses liegen, mitberücksichtigt werden müssen, will man verstehen, was während des Entscheidungsprozesses geschieht. Jeder Typ der absoluten Entscheidungseinheit hat ein Schlüsselelement an Information, welches den Analytiker (oder Entscheidungsträger) in die Lage versetzen soll, genau festzustellen, wann er sich nur auf die Entscheidung selbst konzentrieren muss, um das Zustandekommen einer F+E-Entscheidung zu verstehen, und wann er außerhalb dieser Ebene nach Faktoren suchen muss, die eine Entscheidung beeinflussen werden. Der Status dieser entsprechenden Entwicklungsstufen bestimmt, auf welche Weise andere Elemente in die Entscheidungsfindung dieser bestimten Einheit einfließen.


Komplexes (Waffen)system


Subsystem Subsystem

Komponente Komponente Komponente Komponente


Partikel, Elementarteilchen Partikel, Elementarteilchen Partikel, Elementarteichen Partikel, Elementarteilchen


Multifunktionale Ebene

Abb.1: Strukturelle Technologieklassifizierungen

Kategorien oder ''entsprechende Entwicklungsstufen'' der technischen Klassifizierungen:

1.Multifunktionale Technologien: Sie bilden die Grundstufe von Forschung und Entwicklung. An diesem Punkt der Entwicklung kann auch nur eine Idee existieren, wo im Hinblick auf eine bestimmte Entwicklung gesucht werden kann oder sollte. Zu dieser Kategorie gehört auch die Grundlagenforschung.

2.Ambivalente Technologien: Hier hat bereits eine bestimmte Entwicklung stattgefunden, ebenso wie die Anwendung entstehender Technologien bzw. Komponenten. In diesen Bereich gehört auch der Begriff 'kritische' Technologien, der sowohl mit Zusatz national oder militärisch versehen wird, so dass noch nicht klar ersichtlich wird, in welche Richtung es gehen soll, denn national schließt auch ökonomische Bedeutung mit ein.

3.Dual-use, dual purpose und militärisch-zivile Nutzung beschreiben alle ein ähnlich gelagertes Phänomen: die politische Richtung einer bestimmten technologischen Entwicklung und die Anwendung der Technologien. Innerhalb dieser Kategorien kann noch folgende Rangstufe festgestellt werden:


- dual-use: der Begriff wird für gewöhnlich benutzt, um im Waffenbereich nukleare oder nicht- nukleare Beladung zu bezeichnen.

dual-purpose: hier wird die beabsichtigte Richtung einer bestimmten Technologie angesprochen. Beide Begriffe können unter der Bezeichnung militärisch-zivil subsumiert werden.Der Begriff 'spin-off' fällt ebenfalls in diese Kategorie, denn er meint die Übertragung und zivilwirtschaftliche Nutzung (sog. 'Abfallprodukte') militärischer Forschungsergebnisse.


Dual-use/dual-purpose militärisch-zivil/spin-off


Ambivalenz/Ambiguität


Multifunktional


Abb. 2: Systematische Entwicklungsstadien technologischer Systeme


Applikation

Es fällt auf, dass es bei vielen F+E-Entscheidungen sehr viele mögliche Entwicklungsrichtungen gibt, wenn man von der Grundstufe, d.h. den multifunktionalen Technologien ausgeht. Bei dieser Annahme gibt es vielfältige – eine oder mehrere – verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten mit manchmal voneinander unabhängigen technologischen Strukturen, von denen keine eine an eine andere gebunden werden kann, ohne dass alle anderen zusammenwirken. Um Teil des Bereichs Partikel/Komponente einer bestimmten Technologie zu sein – zusammen oder einzeln – muss diese Technologie in der Lage sein, mit den anderen zusammenzuwirken: dies trifft besonders dann zu, wenn sie mit genügend Unterstützung versorgt wird, um zu bestimmen, welche Mittel zur Verfügung gestellt werden.


F+E Ebene/Systementwicklung Technologieentwicklungsebene/Anwendung


Unterste F+Ebene Ambiguität/Ambivalenz, multifunktionale Ebene
Elementarteilchen/Partikel


Subkomponenten/Komponenten Dual-use/dual-purpose


Komplexe (Waffen)systeme Militärisch-zivil

Abb. 3 Wechselbeziehung zwischen verschiedenen F+E Entwicklungsebenen und technologischen
Entwicklungsstufen

Ein gutes Beispiel für multifunktionale Technologien sind Sensoren und Aktuatoren. Bei entsprechender Entwicklung können Sensoren und Aktuatoren sehr leicht in verschiedene elektronische Kontrollsysteme integriert werden. Sie kommen auf jeder der in Abbildung 3 aufgelisteten Kategorien vor.

In miniaturisierter Form und kombiniert mit Signalprozessoren brauchen sie nur ein Minimum an Platz;

In standardisierter Form können sie ganz unterschiedliche Anwendung finden;

"Beim Militär (Verifikation, zivile und militärische Überwachung);
"in der zivilen Produktion, (Konsumgüter, industrieller Produktionsprozess, Klimaanlagen, Medizintechnik).

Die erfolgreiche Einbindung von Innovationen bei der oben genannten Nutzung von Sensoren kann zu anderen verwandten und spezifischen Problemen im Bereich der verschiedenen Stufen und Ebenen des Entwicklungsprozesses führen. Um wirklich brauchbar zu sein, muss die Klassifizierung und Zuordnung verschiedener technologischer Entwicklungsebenen zu einem größeren Verständnis vom Zusammenwirken von Technologie und F+E führen. Die Analyse muss sich vor allem auf die Unterscheidung von Systemen und Komponenten und den von Entwicklungsstadien und Systemverknüpfungen konzentrieren.
Ich gehe von der Hypothese aus, dass die multifunktionale Ebene weniger durch die Komplexität und die Nuancen eines bestimmten Zusammenhangs, in dem sie sich zu einem gegebenen Zeitpunkt befindet, eingeengt ist, als durch die von außen zu beeinflussenden Ebenen innerhalb des Systemdesigns und, als Ergebnis davon, wahrscheinlicher im untersten Bereich von F+E eingesetzt wird. Der unterste F+E-Bereich kann sowohl ein Minimum an Forschung als auch eine umfangreiche, stark ausgerichtete Entwicklung enthalten. Allgemein lässt sich die Ansicht vertreten, dass die multifunktionalen Ebenen und Stufen weniger beeinflussbar durch besondere, ein bestimmtes Problem betreffende Aspekte sind als ihre entsprechenden äußerlich beeinflussbaren Gegenüber, d.h. Personen/Entscheidungsträger.
Dies soll allerdings nicht heißen, dass multifunktionale Technologien immer unbeeinflussbar gegenüber politischen Forderungen aus einer bestimmten Situation heraus sind, oder dass die darauffolgende Antwort unverändert unempfindlich ist in Bezug auf die politische Situation; aber indem situationsbedingte Komplikationen und spezielle Anforderungen des Problems ignoriert werden, können multifunktionale Technologien häufiger dazu herangezogen werden, einer eher unqualifizierten technischen Nachfrage zu entsprechen.

Zusammenfassung
In diesem Papier wurde der Versuch gemacht darzulegen, dass die Grundlage aller F+E.-Entscheidungen multifunktionale Technologien als Ausgangspunkt haben. Diese ermöglichen es einer Regierung oder einer Firma, ihre Mittel mit größtmöglichem Wirkungsgrad einzusetzen. Eine zusätzliche Bedeutung erhalten diese Technologien auf dieser Ebene dadurch, dass sie eine Umkehr von Entscheidungen innerhalb des Entwicklungsprozesses ermöglichen aber auch zugleich erschweren, da eine technische Weiterentwicklung nicht immer einschätzbar ist.
Obwohl diese technologische und systematische Einheit sich je nach Art des technischen Problems verändern kann, kann sie mit der Zeit sogar die F+E-Politik einer Regierung formen. Meine These ist, dass der F+E-Prozess bei jeder Technologieeinheit die Auswirkungen auf das F+E-Verhalten der Systemumgebung kanalisiert. Tatsächlich können innerer und äußerer Einfluss und Druck eine Regierung oder Firma dahingehend beeinflussen, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Der genaue Charakter und die Richtung ihrer F+E-Politik wird durch die Eigenheiten der multifunktionalen und komplexen Systemeinheit verändert werden.
Ausgangspunkt war die These, dass es drei Kategorien von F+E-Entscheidungsstufen gibt: Kreation, Dedikation und Applikation. Jede dieser Stufen taucht in einem oder mehreren Stadien oder Beschaffenheiten auf. Diese helfen bei der Feststellung, ob eine Entscheidungseinheit den (militärischen) F+E-Prozess eher durch bereits vorhandenes Wissen, Glauben oder die Art der an der Einheit Beteiligten beeinflusst. Sie können aber auch dabei helfen, festzustellen, ob Faktoren außerhalb dieser Einheit dazu herangezogen werden müssen, den Entscheidungsprozess zu verstehen. Indem man in Erfahrung bringt, welche dieser drei Kategorien die absolute Entscheidungseinheit in Bezug auf eine bestimmte militärische F+E-Entscheidung und ihre Beschaffenheit darstellt, kann man auch Aussagen über die Art und Weise des militärischen F+E-Entscheidungsprozesses machen und darüber, welchen Weg die Technologieentwicklung wahrscheinlich nehmen wird. Außerdem könnte dieses Instrumentarium als Mittel dienen unterschiedliche Arten von technologischen Entwicklungen (auch andere als Sensoren) zu vergleichen und zu katalogisieren, um z.B. einen ungewollten Technologietransfer zu verhindern, sowohl von ziviler zu militärischer Nutzung als auch von Land zu Land.