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Panoramablick oder Tunnelblick?

by Dr. Angelika Brinkmann

In seinem Buch: Human Accomplishment: The Pursuit of Excellence in the Arts and Sciences, 800 B.C. To 1950 versucht Charles Murray darzustellen, dass es herausragende Leistungen von Individuen in den Bereichen Kunst und Wissenschaft gibt, die einen 'Ewigkeitswert' besitzen. Sein Buch ist eine systematische Auflistung – er nennt es einen Panoramablick – so unterschiedlicher Figuren wie Aristoteles, Mozart und Einstein.
Er benutzt keinen qualifizierenden, sondern einen quantifizierenden Ansatz (Regressionsanalyse), wie er u.a. im Rahmen einer Veranstaltung des Aspen Instituts Berlin erläuterte. So extrahierte er Einträge aus Enzeklopädien, Antologien, allgemein geschichtlichen und biographischen Nachschlagewerken, wozu es keiner Kenntnisse der jeweiligen Sprache bedurfte. Eine Einzelperson, die mehr als 50% der Einträge in diesen ausgewählten Werken aufweist, bekommt die Bezeichnung 'bedeutende Person'. Das ergibt dann ca. 4000 Personen, bei denen wiederum ein Index von 100 Punkten zu Grunde gelegt wurde.
Diese Vorgehensweise führt zu Schieflagen, wiewohl vom Autor in einem Beitrag für die 'ZEIT' wortreich bestritten, denn sie benachteiligt Kulturen, die andere Übermittlungsformen hatten (wie z.B. Afrika) aber auch Frauen, da diese nun einmal weniger präsent sind in diesen Bereichen. Als Erklärung, warum die höchste Anzahl von Exzellenz besonders im Westen und dort vor allem in Europa zwischen 1400 und 1950 zu finden ist , sollte Reichtum nicht unerwähnt bleiben und Zugang zu bestimmten Informationen, wie es eben nur in wenigen Städten möglich war. Es mag richtig sein, dass die Verfasser der von ihm verwendeten Nachschlagewerke die Beiträge anderer Kontinente nicht ausblenden. Trotzdem sind auch sie vermutlich nicht ganz frei von subjektiven Erwägungen und selbstreferentiellem Verhalten; daher stellt sich schon bezüglich der Auswahlkriterien die Frage, für wen war was bei der Auswahl wichtig?
Ein Ergebnis dieser Vorgehensweise, Die Frau mit der höchsten Punktzahl, 86 von 100, ist die Japanerin A. Murasaki Shikibu mit ihrem vor tausend Jahren geschriebenen Roman 'Die Geschichte vom Prinzen Genji' , im Bereich der westlichen Literatur war es Virginia Woolf. Des weiteren vertritt er die These, dass auch noch in hundert Jahren, Jane Austens 'Stolz und Vorurteil' in jeder Flughafenbuchhandlung vertreten sein wird.
Bezüglich der Gegenwartskunst, d.h. jener, die nach 1950 entstanden ist und daher keinen Eingang in sein Buch fand, vertritt Murray einen sehr kategorischen Anspruch. Alls Mangel an weiterer Exzellenz besonders im Bereich der Künste, macht er den Künstler selbst als Problem aus, der als Anhänger eines 'nihilistischen' Modernebegriffs, nicht länger danach strebt 'das Schöne zu Erkennnen' und so das Wahre und Gute als grundlegendes Kriterium seinens Schaffens zurückweist. Heutzutage würden wir überwiegend 'wundervolle Unterhaltung' produzieren, von der nicht genügend Substanz ausgehe, um auf Dauer zu überzeugen. Vor diesem Hintergrung wagt er dann die These, dass die Anzahl der Romane, Lieder und Bilder des 20. Jahrhunderts, die in 200 Jahren noch Bedeutung haben werden, eher gegen Null tendieren wird, aber belegen läßt sich dies natürlich noch nicht.
Technische Entwicklungen, die für Wissenschaft und Kunst von Bedeutung sind kommen daher zu kurz: Das Internet für beide Bereiche und für die Kunst der Film und moderne Musikrichtungen. Von 1400 bis 1950 stand ein sehr langer Zeitraum und verhältnismässig wenig Konkurrenz zur Verfügung, damit jemand zum Klassiker avancieren konnte. Aber bereits damals mußte die Information über den Künstler von geneigten Personen verbreitet werden, was trotztdem nicht verhinderte, dass einige erst nach ihrem Tod zu Ruhm gelangten. Im digitalen Zeitalter gibt es schnellere Informationsmöglichkeiten und dadurch auch eine andere Kulturbegegnung.
Ich denke, dass Murray mit seiner eher idealstischen Sichtweise auf die Kunst und der Überbetonung der 'klassischen Künste' bei den meisten Menschen eher Kopfschütteln hervorrufen wird. Die heutige Zeit/die Gegenwart erfordert offenbar einen anderen Begriff von Kunst. Im Zeitalter von SMS und 'Multitasking' ist vermutlich auch ein multi-sensuales Kunsterlebnis vorstellbar.Wieso soll es nicht möglich sein, gleichzeitig eine kleine Nachtmusik' zu schätzen und die Beatles? Wer sagt denn, das in 200 Jahren nicht nur Bachs Brandenburgische Konzerte gehört werden, sondern auch Satisfaction, Material Girl und Je ne regrette rien?
Auch der Begriff 'Star Wars' und George Lucas als sein Erfinder, wird sicherlich Bestand haben als ein zeitloser Klassiker und Meilenstein der Filmkunst; Vielleicht nicht so sehr aus inhaltlicher Sicht sondern wegen seine Einflusses sowohl auf die Filmtechnik als auch das moderne Filmmarketing. Nicht unerwähnt bleiben darf auch der 'cross over' Effekt auf die Politik, d.h. das unbeabsichtigte Überschreiten der Grenzen der Filmkunst hin zur Sicherheits-,Rüstungspolitik der USA der 80er Jahre wo ein Präsident eine Verteidigungsstragie als 'SDI' ankündigt , die dann sofort mit dem Spitznamen 'Star Wars' belegt wurde. Diesen Effekt dürfte nicht einmal die grandiose Literaturverfilmung des 'Herrn der Ringe ' haben.
Als Ergebnis ist festzustellen,, das die Regressionsanalyse als Ermittlung von Exzellenz in den genannten Bereichen nur wenig geeignet ist, herausragende Leistungen von Frauen herauszuarbeiten. Das Panoramabild gleicht daher eher einem Puzzle, bei dem wir nicht genau wissen, welche Teile eignetlich fehlen.