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Darauf ging der Parteivorsitzende Franz Müntefering in seiner Abschlussrede
ein. Auch wenn er die USG nicht direkt ansprach, so war doch bemerkenswert,
dass er einen Politikfehler vergangener Jahre eingestand mit den Worten: Frührenter
klingt besser als arbeitslos. Solches Zugeständnis seitens des früheren
Arbeitsministers Norbert Blüm, aber auch der Gewerkschaften ,ist längst
überfällig und würde die grosse Koaltion der Verursacher der
gegenwärtigen Misere deutlicher hervortreten lassen. Müntefering
war auch der einzige, der die Problematik älterer Arbeitnehmer ansprach.
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die in der Veranstaltung diskutierten
Aspekte von Arbeit, Wohlstand und Innovation die Vermutung nahelegen, sich
in dieser Form vorrangig an junge und gut ausgebildete Männer zu richten.
Sie werden eher mit der Gründung innovativer Unternehmen in Verbindung
gebracht. Sie sind die vorrangig gesuchten Ansprechpartner für die Verbindung
zwischen Wissenschaft und Unternehmen und damit 'Garanten für wirtschaftliche
Entwicklung und gesellschaftlichen Fortschritt'. Beides wird offenbar eher
mit sog. 'High-tech' Unternehmen gleichgesetzt, als z. B. mit Handwerksbetrieben.
Letztendlich ging es fast ausschließlich um Hochqualifizierte, eher
theoretisch geschulte Menschen, nicht um jene, die eher für praktische
Tätigkeiten geeignet sind. Dort findet offenbar weniger Innovation statt.
Attrakive Modelle für praktisch qualifizierte Arbeitnehmer scheinen in
diesem Wertesystem nicht vorzukommen. So entstand der Eindruck, dass man 'Pioniergeist,
Neugier, Tatkraft und Freude am Gestalten' (so der Einladungstext) wohl am
wenigsten mit Existenzgründerinnen und Handwerksbetrieben in Verbindung
bringt. Die in dieser Veranstaltung betonte Sichtweise auf einen speziellen
Arbeitnehmertypus unter Vernachlässigung anderer gesellschaftlicher Aspekte,
ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung, warum Wachstum nicht
ausschließlich unter dem Aspekt der Innovation betrachtet werden kann.
Notwendig ist ein umfassender und konsistenter Ansatz, der auch die Attraktivität
praktischer und personengebundener Tätigkeiten hervorhebt.
Statt 'Pioniergeist, Neugier'etc. soll nachfolgend weiteren Gründen für
den Gegensatz von Wunsch (Innovation und Gerechtigkeit) und Wirklichkeit (HartzIV)
nachgegangen werden, die letzteres in den Vordergrund katapultierten.
Der technische Fortschritt und die internationale Arbeitsteilung haben viele
Tätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforderungen seit Ende der 70er
Jahre entsorgt. Deutsche Unternehmen haben ihre Hausaufgaben erfolgreich gemacht.
Seit anfang der 90er Jahre exportieren sie immer mehr Waren ins Ausland, senken
ihre Produktionskosten und erwirtschaften Rekordgewinne. Sie schaffen es,
dass die Löhne kaum steigen und verringern so die Lohnstückkosten
gegenüber der westeuropäischen Konkurrenz. Bundesdeutsche Arbeitsmarktpolitik
und damit eine potentielle Ursache für den Gegensatz besteht zwischen
vorhandener und tatsächlich benötigter Qualifikation für gewünschte
Arbeitnehmer. Hier zeigt sich, dass weder die 90000 Mitarbeiter der BA noch
das hauseigene Forschungsinstitut dieser Aufgabe gerecht werden können.
Auch die Fallmanager sind an dieser Stelle überfordert. Daraus folgt,
das eine grundsätzlich andere Struktur für Arbeitsmarktpolitik gefunden
werden muss. Fordern und Fördern muss in den Firmen geschehen, bevor
die Arbeitnehmer entlassen werden. Anstelle des Altersteilzeitgesetzes sollte
eine Weiterbildungspflicht für Arbeitgeber bestimmt werden. Hier sind
nicht so sehr die Großunternehmen gefordert, sondern klein-und mittelständische
Betriebe, Bedarf aufgrund ihrer jeweiligen Produktpalette, aber auch den zu
erwartenden Neuentwicklungen, Forderungen an die Belegschaft hinsichtlich
der gewünschten Qualifikation zu stellen. Gemeint ist nicht die Weiterbeschäftigung
um jeden Preis, sondern bereitsBeschäftigte durch Weiterbildung mit mehr
als Computerauffrischungskursen auch bei Umstrukturierungen im Betrieb zu
halten. Dies ist unter Einsatz kreativer Finanzierungsmöglichkeiten machbar.
So könnten z.B. die Mittel der BA umgeschichtet werden. Statt 'learning-on-the-job',
keep learning while you still have one.
Im Zusammenhang mit der Arbeitsmarktsituation ist ein wenig gehörtes Argument die These, dass das Wachstum der so genannten Wirtschaftswunderjahre zwischen 1950 bis in die 70er Jahre hinein eine singuläre Ausnahmesitutation darstellt, nicht nur auf Grund der heutigen internationalen Arbeitsteilung, sondern generell und dass vor diesem Hintergrund eine Vielzahl der sozialen Sicherungssyseme bezahlbar war.(Vgl. Dazu auch die Äußerungen von Ulrich Beck in einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 13./14.08.2005) Sollte man politischen Funktionsträgern mangelnde Weitsicht vorwerfen oder die Tatsache, dass sie mit den immer gleichen Versprechungen wiedergewählt werden wollen? Die jetzt häufig vorgebrachten Argumente, wir dürften die Finanzpolster der zukünftigen Generationen nicht aufbrauchen, finden u.a. eine sehr frühe Warnung und Parallele zu den im Rahmen einer Reihe von in den siebziger Jahren des vorherigen Jahhunderts entstandenen, ehrgeizigen, aber unterfinanzierten SF-'Problemfilmen', die visuell kaum die Drehbuchvorlagen umsetzen konnten. Ein Beispiel hierfür ist Richard Fleischers Film „Soylent Green“ (Jahr 2022... die überleben wollen) aus dem Jahr 1973, nach dem Roman „Make Room!Make Room!“ von Harry Harrison. In diesem Film erfährt ein nach aussen harter und unnachgiebiger Polizist durch Recherche, dass die Toten dazu verwendet werden, neulancierte Energiekekse der Soylent Company herzustellen. Ein Hilferuf verhallt und die Toten werden in Zukunft weiter die Lebenden zu ernähren haben. Zugegeben: Dies ist natürlich eine besonders grausame Vision.Besser wäre bereits anfang der 80er Jahre ein deutlicher Hinweis erfolgt, dass die damaligen Vorruhestandsregelungen eigentlich steuerfinanziert sind; die Arbeitslosenversicherung also keine individuelle Absicherung wie z.B. die Vollkasko-oder Hausratsversicherung darstellt, weshalb die öffentlichen Haushalte nicht über Gebühr belastet werden dürfen. Vielleicht hätte eher ein Umdenkungs-und Umstrukturierungsprozess eingesetzt. Aber als der damalige Kanzler Helmut Schmidt, anfang der 80er Jahre einen Gehaltsverzicht von 1% bei den öffentlichen Beschäftigten forderte, erntete er nur eine Streikdrohung des seinerzeitigen ÖTV-Vorsitzenden Kluncker.
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